Der dem Zeitgeschmack entsprechend kantige Kadett D, der bei seinem Erscheinen 1979 sowohl von der Fachpresse für sein Antriebskonzept als auch von den Kunden für sein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis geschätzt wurde, hatte die Messlatte im Kompaktwagensegment schon recht hochgelegt. Dies spiegelte sich auch in den Zulassungszahlen wider: Im März 1983 und im Juni 1984 konnte er seinen Erzrivalen, den VW Golf, auf den zweiten Platz verweisen. Bereits im April 1984 tauchten dann erste Erlkönig-Fotos des neuen Kadett E auf. Zu dieser Zeit spekulierte die Fachpresse noch über die endgültigen Karosserievarianten. Im August 1984 wurde dann der Kadett E erstmals offiziell vorgestellt. Mitte September 1984, vor nunmehr über 40 Jahren also, begann dann der Verkauf. Eines fiel dem geneigten Betrachter sofort auf: Die gesamte Karosserie und viele weitere Details des Kadett E hat der Windkanal geprägt. Daher bekam er auch schnell den Spitznamen „Windei“ verpasst. Entsprechend den Vorgaben des Lastenheftes, in dem ein sehr guter Luftwiderstandsbeiwert (cw-Wert) eine beinahe dominierende Stellung genossen hatte, kreierten die Opel-Designer eine Karosserieform, die zwei elementare Komponenten in sich vereinen sollte: Der neue Kadett sollte dem Fahrtwind wenig Widerstand entgegensetzen und darüber hinaus bei weitgehend unveränderten Grundabmessungen eine den Zeitgeschmack treffende Karosserie besitzen. Daher arbeiteten Designer und Aerodynamiker von Anfang an sehr eng zusammen. So konnte man mit den ersten 1:5-Modellen bereits in einem recht frühen Entwicklungsstadium aussagefähige Versuche im Windkanal durchführen. Parallel dazu entstanden die ersten Tonmodelle im Maßstab 1:1, die dem Vorstand zur endgültigen Entscheidung präsentiert wurden. Die Kreativität der Designer, maßgeblich unterstützt durch die Versuche der Aerodynamiker, schien Erfolg versprechend, denn der tropfenförmige Entwurf mit abgerundetem Bug, relativ hohem Heck und scharfer Abrisskante traf beim Opel-Vorstand auf breite Zustimmung. Mit dem Segen des Vorstandes konnten die Techniker nun an den Karosseriedetails arbeiten. Das Ergebnis dieser Bemühungen war ein zur damaligen Zeit sehr guter cw-Wert von 0,32 für das Fließheck, der Kadett E GSi erreichte gar einen Traumwert von 0,30. Selten zuvor hat die Adam Opel AG bei der Reduzierung des Luftwiderstandes einen vergleichbaren Aufwand betrieben. Fritz W. Lohr, damaliges Opel-Vorstandsmitglied und Direktor der Produktionsentwicklung (PEK), erinnert sich: „Im Verlauf von 1.200 Windkanalstunden haben die Ingenieure und Techniker Werte für den neuen Kadett erzielt, wie sie in dieser Klasse zuvor noch nicht erreicht wurden.“ Durch diesen aerodynamischen Feinschliff wirkte der neue Kadett betont progressiv und dynamisch und verkörperte seinerzeit mit seinem Äußeren einen ersten Vorgriff auf das Fahrzeugdesign der kommenden Jahre. Der VW Golf war im direkten Vergleich zwar ebenfalls technisch überzeugend, wirkte aber im Gegensatz zum Kadett etwas altbacken.
Das stimmige Konzept des Kadett E überzeugte dann auch eine Vielzahl anerkannter Experten, die den Kadett zum „Auto des Jahres 1985“ wählten. Die „BILD AM SONNTAG“ verlieh dem Kadett E am 14.11.1984 „DAS GOLDENE LENKRAD“. Diese begehrte Auszeichnung wurde folgerichtig vom Opel-Marketing gekonnt zur Absatzförderung eingesetzt. Technisch basierte der Kadett E weitgehend auf dem Kadett D. Dennoch investierte Opel fast 1,5 Milliarden DM; Fünf Jahre arbeiteten 4000 Techniker an der Entwicklung des neuen Kompaktmodells. Wie schon seine Vorgänger sollte auch der Kadett E ein wirtschaftliches, leistungsfähiges und attraktives Fahrzeug sein. Dafür wurden erhebliche Investitionen für den Um- und Ausbau der neuen Fertigungsanlagen im Bochumer Kadett-Werk getätigt.
Zum Produktionsanlauf mussten jedoch zunächst mehrere Motorvarianten aus dem Kadett D weiterhin ihren Dienst tun. Dabei wurden die zwischenzeitlich bewährten OHV- und modernen OHC-Triebwerke jedoch nicht einfach in die neue Karosserie eingebaut. Vielmehr sorgte man dafür, dass dem Kunden zum Produktionsstart zunächst sechs unterschiedliche Motorvarianten zur Auswahl standen: Basisversion war der aus dem Kadett D bekannte, jedoch leicht modifizierte 1,2 S OHV-Motor mit 55 PS, alle anderen Triebwerke waren moderne OHC-Maschinen. Es folgten der 1,3 N Motor mit 60 PS und der 1,3 S mit 75 PS. Die nächste Leistungsstufe stellte der 1,6-S-Motor mit 90 PS dar. Der 1,8 E schließlich wurde im Kadett E GSi angeboten. In Verbindung mit der hervorragenden Aerodynamik und dem vergleichsweise geringen Fahrzeuggewicht ging dieser Kadett flotte 203 km/h und übersprang damit die prestigeträchtige 200-km/h-Marke. Kostenbewusste Kadett-Fahrer konnten auf einen Dieselmotor zurückgreifen, der aus 1,6 Litern Hubraum gemütliche 54 PS entwickelte. Für den Kadett E hatte Opel seinerzeit erhebliche Summen in neue Entwicklungs- und Montagetechniken investiert, um die Fahrzeugqualität weiter zu steigern. Neben der Entwicklung und Berechnung der Karosserieform durch hochmoderne Computer (CAD – Computer Aided Design) wurde auch der Innenraum des Kadett mit Hilfe modernster Technologien berechnet. So ist u. a. die selbsttragende Ganzstahlkarosserie unter Anwendung der „Finite-Element-Methode“ entstanden. Dabei wurden im Entwicklungsprozess vorprogrammierte Verformungszonen an Front- und Heckpartie eingebracht. Neben erweiterten Korrosionsschutzmaßnahmen, von denen vor allem der Einsatz von Radinnenkotflügeln an den vorderen Radhäusern hervorzuheben ist, wurden sämtliche Bördelkanten versiegelt.
Im Interesse eines verbesserten Qualitätsniveaus sowie rationellerer und damit kostengünstigerer Fertigung rüstete Opel das Bochumer Kadett-Werk mit weiteren modernen Fertigungstechnologien aus. So dienten beispielsweise die Modulbauweise des gesamten Cockpits, die separate Fertigstellung der Türen auf Förderwagen sowie der erstmalig bei Opel eingesetzte Formhimmel einer deutlichen Verringerung der Fehlertoleranz, einer erheblichen Arbeitserleichterung für die Montagearbeiter und natürlich auch deutlichen Kostenreduzierungen durch die Verringerung der Fertigungstiefe. Auch für die Opel-Händler hielt der neue Kadett einige Herausforderungen bereit. So wurden zu Verkaufsbeginn im September 1984 bereits fünf Karosserievarianten angeboten. Neben der drei- und fünftürigen Fließhecklimousine und den Caravan-Modellen mit drei oder fünf Türen wurde auch ein Lieferwagen als dreitüriger Caravan ohne hintere Seitenscheiben angeboten. Später sollten noch der Combo, eine viertürige Stufenhecklimousine für die konservative Kundschaft, und ein Cabriolet aus der italienischen Karosserieschmiede Bertone dazukommen. Dazu gesellten sich eine Vielzahl weiterer Karosserie- und Spezialaufbauvarianten, auf die jedoch hier nicht weiter eingegangen werden soll. Zudem konnte der Kunde zu Beginn zwischen fünf Ausstattungsvarianten (LS, GL, GLS, GT, GSi) wählen, je nach Motorisierung und Karosserie. Aber auch hier beließ es Opel nicht bei verschiedenen Ausstattungslinien. Ab dem Jahr 1986 wurde ein wahres Feuerwerk an Sondermodellen aufgelegt, von denen einige zwischenzeitlich wahren Seltenheits- und/ oder Kultstatus erreicht haben. Konkurrenz belebt das Geschäft: Dieser Slogan trifft in der hart umkämpften Kompaktklasse vor allem auf die Leistungsträger eines Automobilherstellers zu. Bereits Mitte der 80er Jahre verlor der Kadett E GSi mit seinen 115 PS zunehmend an Anerkennung „auf der linken Spur“ und somit auch bei den sportlichen Opel-Fahrern. Nicht nur der direkte Rivale aus Wolfsburg erhielt in der stärksten Variante immer mehr Leistung, auch die europäische und japanische Konkurrenz konnte mittlerweile vergleichbare oder sogar bessere Leistungswerte erzielen. Zwischenzeitlich erhöhte Opel beim Kadett E GSi den Hubraum auf 2,0 Liter und erreichte damit 130 (katlose) PS. Doch Opel ruhte sich auf diesen Werten nicht aus und präsentierte im Frühjahr 1988 auf dem Genfer Autosalon den Kadett E GSi 16V, der zum Imageträger für die gesamte Baureihe avancieren sollte. Die aufwändige Konstruktion des Motors in Verbindung mit einem geregelten Katalysator wurde von der Fachpresse sehr positiv gewürdigt und von den sportlichen Opel-Fahrern mit Begeisterung aufgenommen. Mit diesem Motor konnte sich Opel endgültig gegen den Erzrivalen aus Wolfsburg durchsetzen. Dessen ungeachtet rückte Mitte der 80er Jahre zunehmend das Thema Umweltschutz vermehrt in das Bewusstsein der Bevölkerung. Auch die Bundesregierung nahm sich der Umweltdiskussion an und erließ strengere Abgasregeln, die den Verkauf schadstoffarmer Fahrzeuge fördern sollten. Opel präsentierte daher im März 1985 als einer der ersten europäischen Hersteller den Kadett E mit dem bereits aus dem Ascona C bekannten 1,8-i-Motor und 90 PS, der mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator ausgestattet war. Als der Vorstandsvorsitzende Louis R. Hughes Ende April 1989 öffentlichkeitswirksam den serienmäßigen Einsatz des geregelten Katalysators in allen Benzinern ankündigte, hatte sich Opel endgültig einen Namen als umweltbewusster Volumenhersteller gemacht. Bereits einige Monate früher, im Dezember 1988, präsentiert Opel den Kadett mit behutsamen Veränderungen als den „Kadett der 90er Jahre“. Opel ging es vor allem darum, den Kadett mit einem behutsamen Facelift optisch stärker an das damals aktuelle Design des Vectra A und Omega A heranzuführen. Am auffälligsten ist daher die neue Front des Kadett mit neuen Stoßfängern und einem separaten, lackierten Kühlergrill. Anfang der 90er Jahre verdichteten sich schließlich die Anzeichen, dass für den Kadett die Wachablösung immer näher rückt. Der neue Kompaktwagen hieß dann auch nicht mehr Kadett. Opel entschied sich vielmehr für den in England bereits seit längerer Zeit geläufigen Namen Astra, unter dem der Kadett von der Opel-Schwester Vauxhall seit 1984 vertrieben wurde. Im Juli 1991 und nach 3.779.289 Exemplaren war die Ära des Kadett bei Opel dann beendet. Damit hat er von allen Kadett-Baureihen die mit Abstand höchste Stückzahl erreicht.
Text: Marcel Beckmann * 2690
Fotos: Archiv Marcel Beckmann *2690, Archiv Opel Classic, Archiv Alt-Opel IG
Anm. d. Red.: Dieser Text von Marcel Beckmann erschien erstmals im Heft 197 des Zuverlässigen zum 25-jährigen Jubiläum. Der Text wurde überarbeitet und mit neuen Bildern versehen.